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Dekarbonisierte und netzstabilisierende Energiesysteme in der ländlichen Region – Warum wir jetzt handeln müssen!

Mit dem Fortschreiten der Energiewende werden auf Grund der fluktuierenden erneuerbaren Energieerzeugung Lösungen benötigt, die die Energie bedarfsgerecht zur Verfügung stellen und die Sektoren Wärme und Mobilität mit dem Sektor Strom koppeln. Das deutsche Energiesystem steht demnach vor einem Wandel und es fehlt derzeit (noch) an Konzepten zur Sektorenkopplung in bestehenden Quartieren in der ländlichen Region, die im Gegensatz zum oftmals erforschten urbanen Raum eine abweichende energetische Erzeugungs- und Bedarfsstruktur sowie ein anderes Mobilitätsverhalten aufweist. Diese Problematik wird im EFRE.NRW geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekt EnerRegio-Modellhafte und netzstabilisierende Energiesysteme in ländlichen Regionen (Förderkennzeichen EFRE-0801824) untersucht.

Das Projektkonsortium arbeitet eng mit den regionalen Akteuren vor Ort wie der Stadtwerke Tecklenburger Land Netz GmbH & Co. KG (SWTE Netz) zusammen, um frühzeitig erste Ergebnisse zu validieren und die weiteren Forschungsbedarfe zu identifizieren. Ein besonderer Dank gilt Herrn Koch, Herrn Bußmann, Herrn Elsner sowie Herrn Püttmann von der SWTE Netz für die Unterstützung und sehr gute Zusammenarbeit.

Die Kommunikation und Zusammenarbeit mit den örtlichen Stakeholdern wird maßgeblich durch die Projektpartner B&R Energie und FH Münster koordiniert. Erste Projektzwischenergebnisse wurden auf dem 28. REGWA Symposium Nutzung regenerative Energiequellen und Wasserstofftechnik [1] sowie dem STORENERGY  Congress 2021 [2] der Öffentlichkeit präsentiert. Ab Mai 2022 wird zudem ein hybrider Workshop für alle Interessierten angeboten, in dessen Rahmen die ersten Ergebnisse für ein dekarbonisiertes Quartier und die Auswirkungen auf die Netzstabilität vorgestellt werden. Eine Einladung erhalten Sie zeitnah per Mail!

Abbildung: Im Jahr 2021 wurde viel am Standort bewegt: Neben der Simulation des zukünftigen Energiesystems war die Standortvorbereitung für die Technikumsanlage im Fokus. (Foto FH Münster)

Aufbau und Weiterentwicklung eines Simulationsmodells des Musterquartiers zur Entwicklung von Energiekonzepten in der ländlichen Region und zur Abschätzung der Auswirkungen auf das Stromnetz

Das definierte Musterquartier im Kreis Steinfurt wird mit Hilfe einer Simulation des Gas- und Wärme-Instituts Essen e.V. in der Programmiersprache Modelica abgebildet. Dabei wird der Ausbau von PV-Dachanlagen, E-Ladesäulen und elektrische Wärmepumpen hinsichtlich der Auswirkungen auf das Stromnetz in mehreren Zukunftsszenarien simuliert. Auf Basis der Ist-Daten des Musterquartiers werden an der FH Münster zudem die Energieflüsse mit Hilfe des Open Energy Modelling Framework (oemof) abgebildet und so die Einflüsse verschiedener Energiekonzepte untersucht.

Abbildung: Entwicklung der energetischen Versorgung im Musterquartier. (Foto Gas- und Wärme-Instituts Essen e.V.)

Das zu untersuchende Quartier umfasst 22 Ein- & Mehrfamilienhäuser innerhalb eines Niederspannungsstromkreises, wovon drei Gebäude eine PV-Dachanlage besitzen. Um zunächst den stromseitigen Status Quo darzustellen, wurde das definierte Musterquartier inklusive PV-Anlagen in Dymola (Programmiersprache Modelica) aufgebaut. Der Fokus liegt hier auf den elektrischen Erzeugern und Verbrauchern und deren Einfluss auf die Netzstabilität im Musterquartier. Die Auswirkungen der Technologien auf das Verteilnetz werden fortlaufend anhand von Lastflüssen für relevante Messpunkte, wie dem identifizierten Netzschlechtpunkt oder dem Ortsnetztransformator untersucht. Der Ausbau von PV-Anlagen, E-Ladesäulen sowie elektrische Wärmepumpen wurde in drei Szenarien für den Zeithorizont 2030, 2045 sowie ein maximales Ausbauszenario aller Technologien eingeteilt.  Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass es insbesondere bei einem starken PV-Ausbau zu oberen Spannungsbandverletzungen in den Sommermonaten kommen kann, dieser aber durch die Einbindung von E-Ladesäulen gemindert werden kann. Die Nutzung von Wärmepumpen zur Wärmebereitstellung führt dagegen zu keiner Verringerung von kritischen Netzsituationen. Das kann damit begründet werden, dass die Wärmebedarfe insbesondere in Zeiten anfallen in denen wenig bis kein Strom durch die PV-Dachanlagen erzeugt wird.

Auf Basis der Ist-Daten des Musterquartiers wurden im letzten Jahr zudem durch die FH Münster verschiedene Energiekonzepte für den Sektoren-gekoppelten Betrieb innerhalb des Musterquartieres auf Basis vorgegebener Speicher- und Konversionstechnologien in zwei Ausbaupfaden untersucht.

Als Grundlage zur Analyse verschiedener Sektoren-gekoppelter Energiekonzepte dient eine Energiesystemmodellierung. Diese basiert auf der Kalkulationstabelle The Spreadsheet Energy System Model Generator (SESMG) [3, 4], die von Christian Klemm in der AG von Prof. Vennemann am Fachbereich Energie, Gebäude und Umwelt der FH Münster entwickelt wurde. Im Rahmen einer Masterarbeit an der FH Münster wurde das EnerRegio-Musterquartier im SESMG abgebildet. Diese Arbeit bildet die Grundlage für die zu untersuchenden Energiekonzepte im weiteren Projektverlauf. Untersuchungsschwerpunkte sind zwei Szenarien (Power-to-Power und Power-to-X) für das Jahr 2030 sowie das Jahr 2045 hinsichtlich folgender Fragestellungen:

  1. Minderung der Treibhausgas-Emissionen
  2. Untersuchung der ökonomischen Einflüsse
  3. Steigerung des Energieautarkiegrades

Im Szenario Power-to-Power wird die Nutzung elektrischer Technologien in den Sektoren Strom, Wärme und Mobilität betrachtet, während im Szenario Power-to-X insbesondere Konversionstechnologien, die auf klimafreundlich erzeugten Gasen basieren, untersucht werden. Diese Konversionstechnologien sind:

  1. Elektrolyse von Wasserstoff
  2. Brennstoffzellentechnik
  3. Biologische Erzeugung von Wasserstoff aus Industrieabwässern der Region

An dieser Stelle gilt ein besonderer Dank dem Team von Prof. Vennemann und Christian Klemm für den Support bei Rückfragen.

Bau der Power-to-X-Demonstrationsanlage am FH-Ort-Saerbeck

Neben der simulativen Untersuchung dekarboniserter Energiekonzepte, ist ein weiteres Projektziel der Aufbau einer Technikumsanlage, die zur Validierung der untersuchten Energiekonzepte durch praktische Erforschung der untersuchten Technologien (Elektrolyseur, Wasserstoffspeicher, Brennstoffzelle) beiträgt. Im Verlauf des Jahres 2021 wurden die hierfür benötigten Technologien im Anschluss an die Ausschreibungsphase ausgeliefert und in Betrieb genommen. Ausstehend ist noch die Lieferung der Brennstoffzelle. Diese wird im ersten Quartal 2022 erwartet. Derzeit erfolgt die technische Einbindung und die Vorbereitung der Technologien für die praktischen Versuchsreihen.

Abbildung: v. l. n. r.: Technikumsanlage bestehend aus Wasserstoff-Speicherbündel, Verdichtereinheit und Elektrolyseur am Standort Saerbeck. (Foto FH Münster)

Beginn der Scale-Up-Versuchsreihen von Power-to-X-Technologien wie der biologischen Wasserstofferzeugung aus Abwässern sowie der biogenen Methanisierung

Ein besonderes Augenmerk wird auf ausgewählte Potenziale in der ländlichen Region gelegt. Daher wird neben der Erzeugungsmöglichkeit des Wasserstoffs durch die Elektrolyse im Quartier untersucht, mit Hilfe welcher weiteren Verfahren der Wasserstoffbedarf zukünftig gedeckt werden kann. Einen Untersuchungsschwerpunkt bilden Brücken- und Nischentechnologien, die das fossile Methan kurzfristig ersetzen können. Konkrete Anwendungsbeispiele sind die Versuchsreihen zur biologischen Wasserstofferzeugung aus (Industrie-)Abwässern sowie die Erhöhung des Methanertrags der vorhandenen Biogasanlagen durch die biogene Methanisierung.

Abbildung: v. l. n. r.: 15 Liter Biogasanlage mit Gassparklingsystem und Gasanalyse für die biogene In-situ-Methanisierung, biologische Wasserstofferzeugungsanlage im Technikumsmaßstab mit 80 Liter und 450 Liter Reaktorvolumen. (Foto FH Münster)

Beim Fermentationsverfahren zur biologischen Wasserstofferzeugung handelt es sich um ein biologisches und anaerobes Verfahrenskonzept, bei dem in zwei Verfahrensschritten kontinuierlich durch dunkle Fermentation Wasserstoff erzeugt wird. Das zweistufige Verfahren verfügt über einen Wasserstoff- und einen Methanreaktor. Beide werden als sog. Expanded Granular Sludge Bed Reaktoren (EGSB) mit zuckerhaltigen Abwässern betrieben. Der Prozess wurde im Laborbetrieb der FH Münster stabilisiert [5–10] und erfolgreich betrieben. Im Projekt EnerRegio wird ein Scale-up im Technikumsmaßstab (450 Liter im Methan-EGSB und 80 Liter im Wasserstoff EGSB) untersucht. Ziel ist es, die gleichen stabilen Prozessparameter und Wasserstoffbildungsraten wie im Laborbetrieb trotz der angepassten Reaktorgrößen zu erreichen.

Auf Basis eines 15 Liter Rührkesselreaktors mit Gassparklingsystem auf dem Reaktorboden wird eine Biogasanlage mit dem für die Musterregion typischen Substratmix abgebildet. Ziel ist das Potenzial der biogenen Methanisierung nach dem in-situ Verfahren zu untersuchen [11–13]. Verfahrenstechnisch wird auf biologischem Weg unter Anwesenheit von Kohlenstoffdioxid und Wasserstoff Methan erzeugt. Zwar ist es auf Grund der aktuellen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen schwer vorstellbar, den grünen Wasserstoff aus der Elektrolyse in die Biogasanlagen einzuspeisen. Dennoch bietet die biogenen Methanisierung auf Grund der in der Musterregion zahlreich vorhandenen Biogasanlagen ein Potential, bis zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, das fossile Erdgas durch THG-neutrales Methan aus nachwachsenden Rohstoffen zu substituieren. Ebenso bietet eine Methanisierungsstufe eine interessante Anwendungsoption für den zuvor erläuterten biologischen Wasserstoff aus Abwässern, da hier bisher keine für die Einspeisung oder Verwendung in Brennstoffzellen geeignete Reinheit ohne Reinigungsschritte erreicht werden kann.

Literatur

[1]    M. Hart, E. Brügging und C. Wetter, „EnerRegio – Entwicklung eines dekarbonisierten Energiesystems in ländlichen Regionen durch Sektorenkopplung;“. Stralsund, 4. Nov. 2021.

[2]    M. Hart, E. Brügging und C. Wetter, „EnerRegio – Entwicklung eines dekarbonisierten Energiesystems in ländlichen Regionen durch die Einbindung von Wasserstoff-und weiteren PtX-Technologien;“. Offenburg, 9. Nov. 2021.

[3]    C. Klemm, „Modelling and Optimization of Multi-Energy Systems in Mixed-Use Districts: An Exemplary Application“. Master Thesis, FB Energie Gebäude Umwelt, FH Münster, Steinfurt, 2020.

[4]    C. Klemm, „Spreadsheet Energy System Model Generator (GIT)“, 2020. [Online]. Verfügbar unter: https://git.fh-muenster.de/ck546038/spreadsheet-energy-system-model-generator. Zugriff am: 11. Februar 2021.

[5]    T. Weide, F. Feil, S. Kamphus, J. Peitzmeier und E. Brügging 2020. Bio‐H2 aus organischen Reststoffen mittels dunkler Fermentation in Deutschland und den Niederlanden. [Online]. Verfügbar unter: http://www.biohydrogen.eu/.

[6]    T. Weide, C. D. Baquero, M. Schomaker, E. Brügging und C. Wetter, „Effects of enzyme addition on biogas and methane yields in the batch anaerobic digestion of agricultural waste (silage, straw, and animal manure)“, Biomass and Bioenergy, Jg. 132, S. 105442, 2020, doi: 10.1016/j.biombioe.2019.105442.

[7]    T. Weide, R. E. Hernández Regalado, E. Brügging, M. Wichern und C. Wetter, „Biohydrogen Production via Dark Fermentation with Pig Manure and Glucose Using pH‐Dependent Feeding“, Chem. Eng. Technol., Jg. 43, Nr. 8, S. 1578–1587, 2020, doi: 10.1002/ceat.201900678.

[8]    T. Weide, J. Peitzmeier, C. Wetter, M. Wichern und E. Brügging, „Comparison of thermophilic and hyperthermophilic dark fermentation with subsequent mesophilic methanogenesis in expanded granular sludge bed reactors“, International Journal of Hydrogen Energy, 2020, doi: 10.1016/j.ijhydene.2020.11.156.

[9]    T. Weide, E. Brügging, C. Wetter, A. Ierardi und M. Wichern, „Use of organic waste for biohydrogen production and volatile fatty acids via dark fermentation and further processing to methane“, International Journal of Hydrogen Energy, Jg. 44, Nr. 44, S. 24110–24125, 2019, doi: 10.1016/j.ijhydene.2019.07.140.

[10]  T. Weide, E. Brügging und C. Wetter, „Anaerobic and aerobic degradation of wastewater from hydrothermal carbonization (HTC) in a continuous, three-stage and semi-industrial system“, Journal of Environmental Chemical Engineering, Jg. 7, Nr. 1, S. 102912, 2019, doi: 10.1016/j.jece.2019.102912.

[11]  I. Bassani, P. G. Kougias, L. Treu und I. Angelidaki, „Biogas Upgrading via Hydrogenotrophic Methanogenesis in Two-Stage Continuous Stirred Tank Reactors at Mesophilic and Thermophilic Conditions“ (eng), Environmental science & technology, Jg. 49, Nr. 20, S. 12585–12593, 2015, doi: 10.1021/acs.est.5b03451.

[12]  L. M. Agneessens et al., „Parameters affecting acetate concentrations during in-situ biological hydrogen methanation“ (eng), Bioresource technology, Jg. 258, S. 33–40, 2018, doi: 10.1016/j.biortech.2018.02.102.

[13]  M. A. Voelklein, D. Rusmanis und J. D. Murphy, „Biological methanation: Strategies for in-situ and ex-situ upgrading in anaerobic digestion“, Applied Energy, Jg. 235, S. 1061–1071, 2019, doi: 10.1016/j.apenergy.2018.11.006.